Aanjar - Seite 2

Auf jeder der vier Seiten der Stadtmauer führen von der Innenseite her drei Aufgänge auf die Stadtmauer, auf der die Wachen zum Schutz der Ansiedlung patrouillierten. Vier stattliche Tore in der Mitte jeder Seite der Ummauerung schützten den Zugang zur Stadt. Jeweils zwei Tore liegen einander gegenüber und bilden den Endpunkt des Cardo Maximus, der Nord-Süd-Achse bzw. des Decumanus Maximus, der Ost-West-Achse. 40 Türme, gleichmäßig verteilt auf die einzelnen Mauerabschnitte, verstärkten die Befestigungsanlagen.

Die hundertjährige Geschichte Anjars ist trotz der Blütezeit der Stadt getränkt mit Krieg und Eroberung, weshalb ihre umayyadischen Herren Verteidigungsanlagen vermutlich als einen festen Bestandteil ihrer Architektur angesehen haben. Fast 60 Inschriften und Graffiti finden sich in der Ummauerung, von denen sich an der Westmauer zwischen dem 4. und 5 Turm vom Südwesten her befindet und als Datum das Jahr 123 der Heghira, der islamischen Zeitrechnung (=741 n. Chr.) angibt.

Der heutige Besucher tritt durch das Nordtor ein und sollte zunächst die Hauptstrasse, den 20 m breiten Cardo Maximus, zum südlichen Teil der Stadtanlage gehen, in dem sich die sehenswertesten Ruinen befinden. Geschäfte und Kolonnaden, von denen einige rekonstruiert worden sind, säumen die Strasse. Den Mittelpunkt der Stadt markiert ein Tetrastyl, d.h. ein Tetrapylon (4 durch ein Gesims verbundene Säulen) an jeder Ecke der Kreuzung des Cardo Maximus mit der anderen ostwestlich verlaufenden Haupt- und Geschäftsstraße, dem Decumanus Maximus. Dadurch wurde die Stadt in vier gleiche Teile gegliedert.

Der rekonstruierte stattliche Tetrastyl, der in seinem Sockel griechische Inschriften aufweist, und das korinthische Kapitell mit seiner charakteristischen Akanthusblätterverzierung zeigen, wie sehr sich hier die Umayyaden antiker Bauwerke bedient haben, wenn auch in sehr gekonnter Weise. Die gesamte Architektur von Aanjar verrät, dass byzantinische oder/und syrische Architekten, Handwerker und Künstler am Werk gewesen waren.

Während bei der Gliederung der Stadt in vier Stadtteile römische Lager als Vorbild dienen, weist die Baukunst des ansehnlichen Mauerwerks, bei dem sich Schichten behauener Steine mit solchen von Lehmziegeln abwechseln, auf byzantinischen Ursprung hin. Diese Technik erlaubte ein schnelles und wirtschaftliches Bauen und verringerte zudem die Wirkung von Erdbeben.

An den beiden Hauptstraßen hat man 600 Geschäfte gezählt, d.h. Aanjar muss ein bedeutendes Handelszentrum gewesen sein. Um die äußere und innere Sicherheit für eine so einwohnerreiche Stadt zu gewährleisten, war gewiss auch eine beachtliche Zahl von Truppen erforderlich. Archäologen fanden das dafür notwendige, ausgedehnte Wohnviertel südwestlich vom Tetrastyl, haben aber noch nicht die wünschenswerten Ausgrabungen vornehmen können.

Die zahlreichen, gleichmäßig verteilten Säulenbasen und die vielen herumliegenden Säulenreste gehören zu den Kolonnaden, die die Hauptstrasse auf beiden Seiten begleiteten und von denen mehrere konstruiert wurden, so dass man sich gut vorstellen kann, wie die Straßen einst ausgesehen haben.

Aanjar Libanon

Die Kolonnadensäulen sind keineswegs homogen – sie unterscheiden sich in ihrer Art und Größe und sind von Kapitellen verschiedener Stile gekrönt. Die meisten von ihnen sind byzantinischer Herkunft und bestätigen damit, dass sich die Umayyaden für die Errichtung Aanjars der in der Region verstreuten Ruinen bedienten.

Auf dem Weg zum Großen Palast fallen zahlreiche Steinplatten auf, die zu dem hervorragend ausgebauten System der Bewässerung und Abwasserkanäle gehören. Sie bezeugen, wie gut die Infrastruktur der Stadt geplant war.

Der Große Palast war der erste Orientierungspunkt, als Anjar entdeckt wurde. Eine Wand mit verschiedenen Arkaden der südlichen Palasthälfte wurde rekonstruiert. Wenn man in der Mitte des 40 qm großen offenen Hofes steht, kann man sich den Palast mit seinen vier hoch aufragenden Wänden gut vorstellen.

Gleich nördlich vom Palast finden sich die spärlichen Reste einer Moschee mit einer Grundfläche von 45 x 32 m. Sie hatte zwei Eingänge für die Öffentlichkeit sowie einen privaten für den Kalifen.

Die Verzierungen im Kleinen Palast sind im Vergleich zum Großen Palast feiner und komplizierter, zudem reicher an Motiven in griechisch-römischer Tradition. Da dieser Palast bisher sehr wenig restauriert worden ist, befinden sich seine Böden und Flächen noch in ihrem natürlichen Zustand.

Mit ein wenig Geduld kann man wundervolle Steingravierungen mit Darstellungen von Eulen, Adlern, Muscheln und Akanthusblättern entdecken.

Einen noch deutlicheren Beweis, dass die Umayyaden sich der Baukunst-Tradition anderer Kulturen bedient haben, bieten die Bäder 20 m nördlich des zweiten Palastes. Sie folgen der klassischen römischen Anlage mit Räumen für kaltes, warmes und heißes Wasser sowie jeweils einem Umkleide- und Ruheraum. Dessen Größe legt die Vermutung nahe, dass er nicht nur dem Wohlbefinden diente, sondern auch eine gesellschaftliche Funktion hatte.

Ein zweites, kleineres Bad von ähnlicher Anlage findet sich nahe dem Nordtor.